Artisten in Alsenborn

Emil Strauß

 

Am 20. November 1847 heiratete in Alsenborn der in Carlsberg geborene 22jährige Musikant Karl Lorenz Schramm, Sohn des Marionettenspielers und Musikanten Justus Schramm, die um vier Jahre ältere Seiltänzerin Ellsabetha Wolf aus Kirrweller.

Mit diesem Datum beginnt "die circensische Episode" in Alsenborns Ortsgeschichte. - Genau besehen waren es nur zwei in Alsenborn ansässige Familien - außer den Schramm noch der Musikant Simon Müller, der 1848 in den Tagen des liberalen Freiheitstaumels Karl Lorenz Schwester Magdalena geheiratet hat -, die sich der Manege verschrieben. Doch die künstlerisch-artistischen Leistungen ihrer Angehörigen, die die Anerkennung des internationalen Artistenvolks fanden, ließen schon bald auswärtige Künstlerfamillen ihre Bekanntschaft suchen. Daraus erwuchsen Freundschaften und schließlich verband man sich durch gegenseitige Heiraten. Wenn man die Alsenborner Standesamtsregister einmal daraufhin durchsieht, dann entdeckt man in der Tat, daß hier zwischen 1847 und 1883 ein geschlossener Sippenkreis bedeutender Künstler und Artistenfamillen entstanden ist, aus dem die beiden Seiltänzerfamilien Schweitzer und Rosenberger sowie die Bügler und Althoff herausragten.

Irgendwie gehörten sie zunächst alle zur "Gevatterschaft der Schramm", die da Jahr für Jahr ihr Winterquartier in Alsenborn aufschlugen, die kommenden Sommerreisen planten und täglich hart trainierten und arbeiteten, um neue Nummern einzustudieren oder alte auszufellen. Aber als es sich in Artistenkreisen einmal herumgesprochen hatte, daß die Gemeinde den "Künstlern" keine Steuern abverlangte, setzte auch Zuzug von Artisten ein, die in keiner Verbindung zur einheimischen Artistenkolonie standen. Schon vor 1870 galt das Dorf an der Alsenzquelle als "Steuerparadies", und die Zahl derer, die sich einen auf Alsenborn lautenden Wandergewerbeschein ausstellen ließen, stieg sprunghaft an.

Wenn auch das winterliche Zusammenleben zwischen Zirkusleuten und Einheimischen niemals ohne Spannungen verlief, so freuten sich doch beide Teile auf das alljährliche Wiedersehen. Für die Artisten begannen mit der Rückkehr nach Alsenborn die ersehnten Tage, in denen sie vom nervenaufreibenden täglichen Leistungszwang entbunden waren - die Alsenborner dagegen empfanden beim Einzug der Zirkuswagen den Anhauch ferner Welten und geheimnisvoller Abenteuer. Beiderseits wusste man, dass die dunklen Winterabende nicht langweilig werden würden.

Unter den wenigen auswärtigen Zirkusfamilien, die in Alsenborn wirklich sesshaft wurden und während der Wintermonate den engen Wohnwagen mit geräumigen Zimmern vertauschten, verdient die des Kunstreiters und Zirkusbesitzers Andreas Bügler aus Münchweiler a. d. Alsenz besondere Erwähnung. Seine sechs Kinder zählten zu den besten Artisten ihrer Zeit. In den Gründerjahren des Bismarckreiches zu Wohlstand gelangt, erwarb Bügler ein stattliches Haus in der Gemeinde, in dessen unmittelbarer Nähe er geräumige Stallungen für seine Tiere errichten ließ. Doch nach dem Tode seiner Frau Barbara, einer geborenen Trenkler, die die Seele des gesamten Unternehmens gewesen zu sein scheint, ging es mit ihm zusehends bergab. Seiner Kunst müde, starb er 1901 nach einer Vorstellung in Odenbach am Glan und wurde in Alsenborn bestattet.

Die Heirat seines Sohnes Jerôme mit Magdalena Eva Althoff hatte bereits 1883 die älteste und zugleich eine der angesehensten Zirkusdynastien Deutschlands nach Alsenborn geführt: die Althoffs.

Nachdem sie 1906 das gesamte ehemals Büglersche Anwesen von dessen Erben erworben hatten, führte Wilhelm Althoff III. von hier aus seinen berühmten Zirkus auf Tourneen durch "aller Herren Länder", bis die Inflation ihn 1927 zwang, das gewaltige Unternehmen aufzugeben.

In den vier Jahrzehnten vor und nach der Jahrhundertwende wurde Alsenborns Name aufgrund von Spitzenleistungen der mit dem Ort sich verbunden fühlenden Artisten zu einem Gütezeichen in der weltweiten "Artisten-Fakultät". Für die kurze Zeitspanne eines Artistenlebens, das im bewundernden Aufleuchten von Zuschaueraugen seine Erfüllung erfährt, flimmerten Namen wie die der Kunstreiter Rosenberg, Götz und Fortunato Wimmer, der Seiltänzer Thys, Endres, Frank und Traber, der Schul- und Parforcereiter der Althoff-Schule, der Jongleuse und Drahtsellkünstlerin Sophie Althoff und des Dompteurs Richard Franz als Sterne am bunten, vergänglichen Zirkushimmel. Aber schon mit Wilhelm Althoffs Tod, er starb 1933 in Kaiserslautern, setzte deutlich sichtbar die Agonie des sogenannten Alsenborner Artistenwesens ein. Nach dem 2. Weltkrieg gab es zwar u. a. für die Traber-Hochseil-Truppe und den Zirkus Franz Althoff einen neuen Anfang, aber ihre Wagen haben heute anderwärts eine Heimstatt gefunden.

Noch leben einige ehemalige Artisten in Alsenborn und manche, vor allem ältere Bürger erinnern sich gerne einzelner lustiger Begebenheiten wie beispielsweise des 1917 gescheiterten Versuches, mit einem Elefanten zu pflügen

Pflügender Elefant 1917

Pflügender Elefant auf dem Verkehrskreisel

oder des überraschenden Auftauchens eines Tanzbären am Stammtisch eines Gasthauses, das die weinseligen Skatbrüder aus Fenstern und Türen springen ließ, doch eines Tages wird allein der Grabstein des Friseurmeisters Peter Feierabend Alsenborns einstige Beziehungen zur Zirkuswelt bezeugen. Die verwitterte Inschrift: "Die wilden Tiere haben ihn verderbet, Herr, Gott, Zebaoth tröste uns, lass leuchten dein Antlitz so genesen wir. Ich werde erlöst von des Löwen Rachen" (Psalm 80, 4 und 2. Tim. 4, 17) erinnert daran, dass der wagemutige Barbier seinen Versuch, den Menageriebesitzer Wieser im Löwenkäfig zu rasieren, am 21. Februar 1911 mit dem Leben bezahlen musste.